22 Prozent der über 80-Jährigen in Deutschland sind von Armut betroffen. Bei Frauen liegt der Anteil noch höher.1 Und dabei geht es dieser Altersgruppe bei Gesamtbetrachtung immer noch gut, da die Renten bei Beginn des Ruhestands aufgrund der Rentenanpassungsformel vergleichsweise höher waren als die heutigen und die kommenden Einstiegsrenten.
2004 wurde der sog. Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenanpassungsformel integriert. Er beeinflusst die jährliche Rentenanpassung entsprechend der Veränderung des Altersquotienten (Verhältnis der Beitragszahler zu den Rentenbeziehern). Es hieß, bis zum Jahr 2030 werde der Nachhaltigkeitsfaktor dafür sorgen, dass die Renten etwa 20 Prozent (gegenüber 2002) hinter der Lohnentwicklung zurückbleiben.2 In Zeiten mit einer hohen Inflationsrate und von Jahr zu Jahr immer geringerer Rente bei Rentenbeginn ist das selbst für Betroffene mit einem durchschnittlichen Arbeitseinkommen zunehmend ein wahrer Albtraum. Sie können quasi live zuschauen, wie die Armutsgrenze immer näher rückt und der Lebensstandard schwindet.
Rente vs. Nettoeinkommen – Wie viel Rente gibt es denn eigentlich?
„Wer heute denkt, dass er mit einem Netto-Einkommen von 2.000,00 Euro/Mon. gut bedient ist, wird sich umgucken.“
Kieler Gelbwesten
Es gibt sehr viele Menschen, die während ihres Berufslebens weniger als 2.000,00 Euro netto im Monat haben. Aber auch, wer 2.000,00 Euro oder etwas mehr im Monat hat, wird als Rentner*in nicht davon leben können. Nach aktueller Gesetzgebung gilt nämlich Folgendes:
„Bis zum Jahr 2025 garantiert der Gesetzgeber ein Rentenniveau in Höhe von mindestens 48 Prozent. Sollten die Vorausberechnungen der Bundesregierung im jährlichen Rentenversicherungsbericht ein Absinken des Rentenniveaus auf unter 43 Prozent bis zum Jahr 2030 prognostizieren, sind dem Gesetzgeber geeignete Maßnahmen zum Gegensteuern vorzuschlagen. Das ergibt sich aus den Vorschriften im SGB VI. Für die Zeit nach 2030 ist keine Untergrenze für die Entwicklung des Rentenniveaus vorgesehen.“
FAQ Deutsche Rentenversicherung (abgerufen 06.11.2022)
Die garantierte „Höhe von mindestens 48 Prozent“ (vom vormaligen Nettolohn) gibt den „Netto-Wert“ der Rente vor Steuern an. Von dieser Rente werden dann noch die Sozialabgaben (Kranken- und Pflegeversicherung) abgezogen. Nicht vergessen: Vom verbleibenden Rest müssen Miete, Mietnebenkosten, Heizung, Telefon und vieles mehr bezahlt werden. Keinesfalls wird es reichen, um den Lebensstandard zu halten, der zu Zeiten der Berufstätigkeit galt.
Die viel zitierte Grundrente ist ein Augenwischer
Die Grundrente ist ein Zuschlag zur eigenen Rente. Voraussetzung ist, dass die Person viele Jahre Beiträge gezahlt hat und trotzdem nur eine geringe Rente bekommt. Mit der Grundrente gibt es nach 45 Jahren Arbeit in Vollzeit, zum ab Oktober 2022 gültigen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro, rund 1.060 Euro Rente. Ohne die vorgesehene Grundrente wären es nur 860 Euro. – Mit Verlaub… 1.060, 00 Euro, von denen Miete, Mietnebenkosten, Heizung, Telefon und vieles mehr bezahlt werden müssen. Der verbleibende Rest reicht kaum zum Leben.
Die Voraussetzungen zur Grundrente im Überblick
- mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten für ein teilweisen Zuschlag
- für den vollen Zuschlag mindestens 35 Jahre Grundrentenzeiten
- Durchschnittsverdienst nicht höher als 80 Prozent des bundesweiten Durchschnittsverdienstes, mindestens jedoch 30 Prozent.
„Der durchschnittliche Zuschlag zur Rente wird nach Schätzungen des BMAS voraussichtlich 75 Euro betragen. Die tatsächliche Höhe wird individuell berechnet.“
Deutsche Rentenversicherung
Durchschnittlich 75,00 Euro, die die Armut nicht beenden und die überhaupt nur sehr wenige Rentner und Rentnerinnen bekommen können….
Was Altersarmut bedeutet3
Es gibt viele Ältere, die mögen nicht als „Bittsteller“ zum Amt gehen. Sie halten irgendwie durch… Sie brechen auf der Straße zusammen, weil sie sich die Zuzahlungen zu lebenswichtigen Medikamenten nicht leisten können. Sie verletzen sich im Haushalt, weil sie nicht gut sehen und eine neue Brille für sie unerschwinglich ist. Sie können nicht mehr waschen oder kochen, weil die Waschmaschine oder der Herd defekt ist. Sie frieren in ihrer Wohnung, um Heizkosten zu sparen, oder sie hungern für eine neue Matratze. Aus Scham, kein Geld zu haben, ziehen sich viele aus dem öffentlichen Leben zurück und vereinsamen.
Laut Bundesregierung (2019) beziehen bundesweit rund 9,3 Millionen Senioren eine Rente unter 900 Euro. 70 % der Betroffenen sind Frauen.
Saftige Rentenanhebung in 2022?
Nach einer pandemiebedingten Nullrunde im letzten Jahr werden die Renten endlich wieder erhöht – und zwar so deutlich wie seit 40 Jahren nicht mehr: im Westen Deutschlands um 5,35 Prozent, im Osten um 6,12 Prozent. 21 Millionen Senioren leben in Deutschland, die das höhere Einkommen schon aufgrund der stetig steigenden Preise benötigen.
Leider haben bedürftige Senioren nichts davon
Rentner, die aufstockende Grundsicherung beziehen, erhalten die Rentenanpassung auf Papier zunächst zwar ebenfalls, aber das Sozialamt kürzt im Gegenzug die Grundsicherungshöhe. Somit haben Senioren, die ohnehin kaum über die Runden kommen, rein gar nichts davon. Die corona- und kriegsbedingte Teuerungsrate der Lebenshaltungskosten treibt betroffene Senioren immer tiefer in die Verzweiflung. Die finanzielle und psychische Ausweglosigkeit haben Senioren, die ein Leben lang gearbeitet haben, einfach nicht verdient.
Altersarme Senioren können Grundsicherungsanspruch verlieren
Andererseits kann die Rentenerhöhung dazu führen, dass Senioren keinen Grundsicherungsanspruch mehr haben, weil sie ab Juli knapp die Bemessungsgrenze reißen. Ohne Grundsicherungsanspruch entfallen
beispielsweise die GEZ-Befreiung, Vergünstigungen im ÖPNV oder Eintrittskarten. Somit stehen sie spürbar schlechter da als mit Grundsicherung, weil ihre Ausgaben steigen.
Steuerfreibetrag sinkt
Für Neusenioren gilt ab Januar 2022: 82 Prozent des Renteneinkommens müssen fortan versteuert werden, 1 Prozent mehr als bisher. Im Umkehrschluss sind lediglich noch 18 Prozent steuerfrei. Das bedeutet also, noch weniger Nettorente und wenn es sich „nur“ um 5 Euro weniger im Monat handelt. In Altersarmut lebende Rentner haben am Tag fünf bis zehn Euro zur Verfügung. Fünf Euro weniger könnte einen Tag ohne Essen bedeuten. Vielen bedürftigen Senioren reicht die Rente nur bis circa den 20. eines Monats.
Gründe für Altersarmut sind nicht relevant
Ob jemand alleinerziehend war, mit einer Selbstständigkeit Pleite gegangen ist oder als ungelernte Kraft zum Mindestlohn gearbeitet hat… Es ist unerheblich, was zu der Situation geführt hat. Entscheidend ist, was Altersarmut für betroffene Menschen bedeutet.
Wer gearbeitet hat, muss einen menschenwürdigen Ruhestand genießen können. Nach harter Arbeit als Bittsteller zum Amt laufen müssen, geht gar nicht!
1BMFSFJ zur Studie „Hohes Alter in Deutschland“, 16.12.2021
2Wikipedia#Nachhaltigkeitsfaktor#Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors
3Pressemitteilung Ein Herz für Rentner e.V., 04/2022
Foto: Flaschensammler. Urheber: Sascha Kohlmann/Flickr. Lizenz: CC BY-SA 2.0