Immer wieder stehen sie auf den Treppen des Bahnhofs und vielfach ist „Rojava“ zu hören sowie die Forderung, Öcalan zu befreien. Die meisten Kieler gehen vorbei und sind eher genervt getreu dem Motto „Sollen sie doch in ihrem Land demonstrieren“. Genau das ist aber nicht möglich. Warum diese Menschen demonstrieren? Darüber berichtet die deutsche Presse nicht.
Was ist Rojava?
Der Begriff Rojava steht für die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien. Die Region ist ethnisch vielfältig, bewohnt vor allem von Kurden, Assyrern und Arabern. Die Mehrheit der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Islam an. Daneben gibt es bedeutende Minderheiten der Jesiden, Juden, Christen und Yarsan. Diese Minderheiten können in der Region ihre Religion weitgehend frei ausleben. Zahlreiche Anschläge auf Kirchen und kirchliche Einrichtungen im Irak sorgten für eine Flucht von Angehörigen der irakisch-christlichen Minderheiten in diese Region. Am 17. März 2016 rief eine gemeinsame Versammlung kurdischer, assyrischer, arabischer und turkmenischer Delegierter die Demokratische Föderation Nordsyrien aus.
Eigentlich genießt Rojava weltweit Zuspruch aufgrund der funktionierenden Demokratie und der dort allgemeingültigen pluralistischen Prinzipien, die für die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Ethnie, Religion oder Geschlecht Sorge tragen, außerdem für beispielhafte Rechtsstaatlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit.
Das System soll eine demokratisch-ökologische Zivilgesellschaft im Nahen Osten schaffen, die keine Staatsgründung zum Ziel haben soll, sondern die Abschaffung des Staates und aller Hierarchien. Angestrebt wird dabei keine kurdische Eigenstaatlichkeit und auch keine Konföderation von Teilstaaten, sondern der Aufbau einer Selbstverwaltung durch kommunale Basisorganisierung und ohne die bestehenden Staatsgrenzen anzutasten. Dieses soll erreicht werden durch eine gleichberechtigte Föderation von Regionen, Kantonen, Städten und Kommunen.
Diese Idee geht auf Abdullah Öcalan zurück, der zuvor Vorsitzender der gewaltbereiten Arbeiterpartei PKK war. Öcalan befindet sich allerdings bereits seit 1999 im türkischen Gefängnis auf der stark bewachten Imrali-Insel im Marmara-Meer.
Warum wird demonstriert?
Demonstriert wird, weil die Türkei diese Region gezielt bombadiert. Die deutsche Presse berichtet darüber nicht. Dass die Türkei nicht viel für Kurden übrig hat, ist bekannt. Offensichtlich hat Erdogan aber auch nicht viel für eine funktionierende Demokratie übrig. Beobachter werten die türkischen Militäraktionen als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Und wenn die deutsche Presse berichtet, formuliert sie das im Allgemeinen so: „Das türkische Militär führt erneut Luftangriffe gegen Kurdenmilizen durch“.
„Es sind schwierige Bedingungen, unter denen die Menschen und ihre Selbstverwaltung das tägliche Leben und die Verteidigung ihrer erkämpften demokratischen Freiheit organisieren.
Bis heute greift die Türkei täglich mit Raketen, Kampfdrohnen oder Artillerie an. Ca. 700.000 Binnenflüchtlinge, geflohen vor dem Assad-Regime, dschihadistischem Terror und der türkischen Besatzung in Efrîn (Afrîn) und Serêkaniyê (Ras al-Ain), müssen versorgt werden. Nur wenige Flüchtlingslager sind von der UN anerkannt und erhalten damit internationale Unterstützung. Zusätzlich behindert die Türkei durch Staudämme an den großen grenzüberschreitenden Flüssen die Wasserversorgung in Nord- und Ostsyrien mit fatalen Folgen für die Landwirtschaft, die Energieversorgung und die Gesundheit der Bevölkerung.
Aber Aufgeben ist keine Option für die Menschen! Sie bauen Zerstörtes wieder auf, finden im Alltag solidarische Wege zur Lösung der Probleme und verteidigen ihre demokratische Gesellschaft.“ – Familien für den Frieden e.V.
Man stelle sich vor… im Nahen Osten gibt es eine Region mit Menschen, die echte Demokratie leben. Dafür brauchen sie weder eine Staatlichkeit noch irgendwelche Parteien. Man stelle sich vor… die Menschen verstehen sich, egal zu welcher Ethnie sie gehören. Man stelle sich vor… es gibt da eine Region im Nahen Osten, in der Schulen und andere Einrichtungen sich selbst verwalten. Und man stelle sich vor… es klappt tatsächlich.
Man stelle sich vor… die deutsche Presse würde berichten…
Quellen: Wikipedia und andere. Bild: Julia Tulke. Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0