Durch die Hinweisgeberrichtlinie [auch: Whistleblower-Richtlinie oder Whistleblower-RL (WBRL), Richtlinie (EU) 2019/1937] sollen Personen, die für eine öffentliche oder private Organisation arbeiten oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit einer solchen Organisation in Kontakt stehen, und in diesem Zusammenhang auftretende Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses häufig als Erste wahrnehmen, geschützt werden, wenn sie Verstöße gegen das das Recht der Europäischen Union melden, die das öffentliche Interesse beeinträchtigen.
Hierzu hat der Deutsche Bundestag am Freitag, den 16.12. 2022, das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) beschlossen. Es tritt 3 Monate nach seiner Verkündung in Kraft.
So soll Denunziantentum künftig gefördert werden
Nach dem HinSchG müssen künftig alle Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine interne Meldestelle einrichten, Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitenden können dabei Meldestellen gemeinsam aufbauen. Als externe Meldestelle soll grundsätzlich das Bundesamt für Justiz dienen. Für einige Bereich sind spezielle Meldestellen vorgesehen.
Das Gesetz gilt neben Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer auch für Beamtinnen und Beamtn, Anteilseignerinnen und Anteilseigner, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lieferanten und Personen, die bereits vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses Kenntnisse von Verstößen erlangt haben.
„Kommt ein Vorwurf, egal wie real oder hanebüchen der ist, muss die Meldestelle diesem nachgehen. „Dafür sollen die Meldestellen entsprechende Vorkehrungen treffen, um auch eine anonyme Kommunikation zwischen Hinweisgebenden und Meldestellen zu ermöglichen“, berichtet der Bundestag. Der anonyme Denunziant kann also permanent nachlegen, ohne seine Identität preiszugeben – oder irgendwelche Folgen für sich zu riskieren.“
Tichys Einblick
ACHTUNG: Auch die politische Gesinnung von Beamten und Beamtinnen soll erfasst werden
„Wer verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamtinnen und Beamten meldet, soll künftig unter den Hinweisgeberschutz fallen und somit vor Repressalien geschützt sein. Das soll auch für Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gelten.„
Bundestag, Dokumente
Was bitte soll denn zu den „Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ gehören? So etwas wie „Ich würde nie wieder die Grünen wählen“ oder „Ich denke, wir haben aktuell die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten“? Reicht es künftig vielleicht sogar schon, öffentlich geäußert zu haben, dass man keine der Regierungsparteien gewählt hat? Und was bitte ist mit anonym abgegebenen falschen Anschuldigungen?
Führen wir das Gesetz gedanklich mal mit den im Vorfeld von Bundesinnenministerin Nancy Faeser schon bei „Maischberger“ getätigten Aussagen zusammen…
„Ich bin gerade dabei, das Disziplinarrecht zu verändern, damit wir solche Verfassungsfeinde schneller loswerden“
siehe: Maischberger bei Twitter
Künftig solle es möglich sein, solche Beamte mittels eines einfachen Verwaltungsaktes zu entfernen, also ohne unabhängige Begutachtung durch Verwaltungsgerichte, wie bisher. Damit müssen Betroffene dann künftig gegen ihre Entlassung aus dem Dienst klagen. Hier haben wir dann einen Fall der Beweislastumkehr.
Verletzung von Menschenrechten?
Die Unschuldsvermutung, die besagt, dass jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt, wird damit ausgehebelt. Die Unschuldsvermutung ist im europäischen Recht (Art. 48 Abs. 1 der Grundrechtecharta) sowie auch in Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 sowie auch in Art. 14 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen verankert.
Die Verschwiegenheitspflicht verschiedener Berufsstände fällt
Rechtsanwalt Ansgar Neuhof sieht zudem noch einen „Großangriff auf die Verschwiegenheits-Pflicht“.
„Von kaum jemandem wirklich thematisiert, räumt das Hinweisgeberschutzgesetz eine tragende Säule des Rechtsstaats in weitem Umfang beiseite: nämlich die berufliche Verschwiegenheitspflicht. Wer künftig einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Berufspsychologen, Ehe-, Familie-, Jugend-, Erziehungs- oder Suchtberater aufsucht, muss Angst haben. Angst davor, dass diese Personen etwaige Gesetzesverstöße melden.“
achgut.com, 29.12.2022
In Zukunft erlaube das HinSchG die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (siehe § 6), ohne dass Strafe und Verlust der Berufszulassung drohen. Ausnahmen bestümden nur noch für wenige Berufsgruppen wie Rechtsanwälte/Notare und (Zahn-)Ärzte/Apotheker (siehe § 5 Abs. 2 HinSchG).
Fazit
Wir sind weder Rechtsanwälte, noch sonstige Rechtexperten. Dennoch stehen die Nackenhaare beim Lesen zu Berge. Es kann einfach nicht rechtens sein, wenn das Menschenrecht der Unschuldsvermutung ausgehebelt wird.
Diskussionshintergrund im Bundestag:
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben am Freitag, 16. Dezember 2022, einen „besseren Schutz hinweisgebender Personen“ im beruflichen Umfeld beschlossen. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (20/3442; 20/3709; 20/4001 Nr. 1.2) stimmten die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Unionsfraktion und AfD votierten gegen die Vorlage, die Linksfraktion enthielt sich der Abstimmung, zu der dem Parlament neben einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/4909) auch ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung (20/4910) vorlag.
Keine Mehrheit fand hingegen ein von der CDU/CSU-Fraktion zu dem Gesetzentwurf vorgelegter Entschließungsantrag (20/4914), die Vorlage wurde gegen das Votum der Antragsteller bei Enthaltung der AfD abgelehnt. Auch einen Änderungsantrag der AfD-Fraktion (20/4969) wies der Bundestag mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurück.“
Bundestag, Dokumente
UPDATE 10.02.2023: Der Bundesrat hat nicht zugestimmt!
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) kann daher erstmal nicht in Kraft treten. Bundesregierung und Bundestag haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um mit den Ländern über einen Kompromiss zu beraten.