Die EU will Chat- und Messenger-Providern sowie auch Webhostern vorschreiben, private Chats, Nachrichten und E-Mails massenhaft, anlass- und unterschiedslos auf verdächtige Inhalte durchsuchen. Das soll selbst dann durchgeführt werden, wenn die persönlichen Nachrichten sicher und Ende-zu-Ende-verschlüsselt übertragen werden.
Ursprünglich wollte die EU-Kommissionen damit gegen Kinderpornographie vorgehen und Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen im Internet finden. Dazu sagt die Gruppe „Chatkontrolle STOPPEN!“:
„Eine massenhafte Kontrolle der gesamten digitalen Kommunikation ist nichts anderes als eine Massenüberwachung und stellt uns alle unter Generalverdacht. Damit schafft die EU-Kommission de facto eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und damit jede private Kommunikation und ein wichtiges demokratisches Grundrecht einfach ab.“
Chatkontrolle STOPPEN
Digitales Briefgeheimnis und berufliche Schweigepflichten sollen ausgehebelt werden
So wie es geplant ist, werden auch Ärzte/ Ärztinnen, Anwaltskanzleien, Journalisten/ Journalistinnen und andere Gruppen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, vom Vorhaben der Politik betroffen.
Falscher Verdacht kann Leben ruinieren
Aktuell kommen ähnliche Verfahren bei Google und Facebook bereits zur Anwendung und so geschah es z.B. bereits, dass Googles «Kinderpornografie-Scanner» fälschlicherweise Alarm schlug und die Polizei gegen zwei Väter ermittelte. Was war geschehen?
Für eine ärztliche Diagnose schoss ein Vater mit seinem Smartphone mehrere Fotos vom Genitalbereich seines Sohnes. Die Handy-Fotos des Familienvaters wurden automatisch zwischen mehreren Geräten synchronisiert und in die Google-Cloud hochgeladen. Damit nahm das Ungemach seinen Lauf: Die Scan-Software von Google, die maschinell nach Darstellungen von Kindesmissbrauch in der Google-Cloud sucht, stufte die Fotos fälschlicherweise als missbräuchlich ein.
watson.ch, 22.08.2022
Die Familie verlor durch dieses Geschehen private und geschäftliche E-Mails, Cloud-Dateien, Kalendereinträge, Kontaktdaten sowie auch alle online gespeicherten Familienfotos und zuguterletzt auch noch seinen Handyvertrag.
Kritik an Plänen zur Chatkontrolle auch von Experten1
Dass diese Überwachungsmaßnahmen viel zu weit gehen, sehen Experten genauso. Am 2. März 2023 gab es dazu eine Anhörung vor dem Deutschen Bundestag. Es hagelte Kritik von allen Seiten. Die Mehrheit der geladenen Experten betonte, dass Vorhaben gehe an entscheidenden Stellen zu weit.
Der Verordnungsentwurf verfehle grundsätzlich das Ziel, Kindesmissbrauchsdarstellungen entgegenzutreten, betonte die Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Elina Eickstädt. Dem Entwurf liege eine „krasse Überschätzung von Fähigkeiten von Technologien“, zugrunde, insbesondere was das Erkennen von unbekanntem Material angehe. Er stelle zudem eine noch „nie dagewesenen Überwachungsinfrastruktur“ dar, sagte Eickstädt. Sie verdeutlichte, dass bei einer Fehlerrate von einem Prozent und einer Milliarde Nachrichten am Tag zehn Milliarden Falschmeldungen entstehen könnten. Durch den Entwurf werde zudem eine Ausweispflicht im Internet nötig. Weiter gab sie zu bedenken, dass Netzsperren zu „Zensurtools sondergleichen“ werden könnten.
Von einem „digitalen Angriff“ sprach auch die Sachverständige Ella Jakubowska von der European Digital Rights-Vereinigung. Sie betonte, dass der Verordnungsvorschlag nicht in Einklang mit den Menschenrechten stehe. Er unterminiere den Datenschutz von privater Kommunikation in Mails, Chats oder von Fotos in der persönlichen Cloud. Sie plädiere dafür, dass der Vorschlag zurückgezogen werde.
Der Forderung schloss sich auch Teresa Widlok an: Der Verein für liberale Netzpolitik – LOAD lehne die anlasslose und umfängliche Überwachung von Kommunikation und gespeicherten Inhalten grundsätzlich ab. Der Verordnungsentwurf solle zu einer Aufdeckung neuer Opfer sexualisierter Gewalt führen, eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung sei jedoch nicht möglich. Widlok gab weiter zu bedenken, dass das Recht auf Verschlüsselung mit dem Verordnung in weite Ferne rücken werde.
Der Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, verwies darauf, dass ein so umfassender Eingriff wie mit der Verordnung geplant, nicht erforderlich sei. Vielmehr sollten die derzeit unzureichend aufgestellten Strafverfolgungsbehörden gestärkt werden, sodass auf Basis der Erkenntnisse serverseitiger Scans und den Ermittlungsverfahren selbst ausreichend Informationen generiert werden können. Begrüßt werde hingegen die Stärkung der europäischen Zusammenarbeit und auch die Meldepflicht für Anbieter. Rechtlich fraglich sei, ob und in welcher Intensität eigene Detektionsmechanismen angewandt werden können und sollen, sagte Hartmann. Er plädiere dafür, dass sich diese auf das Wiedererkennen über Hash-basierte Verfahren begrenzten.
Dem Kinderschutz sei nicht gedient wenn die Verordnung später vor dem Europäischen Gerichtshof scheitere, sagte Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. „Der Schaden für die Privatsphäre aller Menschen wäre immens“, sagte er. Die anlasslose Überwachung verletze den Wesensgehalt des Rechts auf Privatsphäre und könne damit durch keine Grundrechtsabwägung gerechtfertigt werden. So könnten auch Bilder von einvernehmlichen Sexting auf den Tischen von EU-Beamten und Strafverfolgungsbehörden landen. Im Hinblick auf die Netzsperren gab der Sachverständige zu bedenken, dass dies technisch nicht für einzelne Unterseiten einer Webseite möglich sei.
1 Heute im Bundestag, 02.03.2023 | Beitragsfoto: Maciej Sowilski/Digitale Freiheit via Flickr. Lizenz: CC BY-SA 2.0